Diese Nacht ist die Nacht sehr still… sehr still diese Nacht. So still, dass ich fast hören kann, was jenseits der Stille liegt. Das Tosen meines eigenen Blutes, das durch meinen eigenen Körper strömt und strömt, so unaufhaltsam. Selbst wenn die ganze Welt zusammenfällt und alles zerbricht in mir, fließt dieses rote Blut weiter… wie kommt das? Wenn langsam die Kälte durch die Schalen kriecht und alle Muskeln sich verkrampfen und nichts um mich ist, nur das Tosen. Wenn ich mich frage, wo sie alle sind heut nacht, die Menschen. Die Menschen, die ich liebe, die Menschen, die ich verachte, die, die ich begehre und die damit dazwischen stehen, wo sind sie denn? Was tun sie gerade, was denken sie, was fühlen sie, was sagen sie? Lachen sie, weinen sie? Schlafen sie? Träumen sie?
So still heut nacht, ganz still, mir wird immer kälter.
Letztlich ist der Mensch dazu verdammt, allein zu sein und zu warten, dass sich das ändert. Zu lieben und zu hoffen. Ein Stück des Wegs zu teilen, doch die Hände der Freunde loszulassen, wenn die Drachen rufen. Dem Ruf zu folgen, herumzuirren in der Welt – du dachtest, du kennst sie? Aber war das schon immer eine Glastür? Wandte ich mich hier immer nach rechts? Und wer sind all die Menschen? Die fremden Gesichter um mich her, wer seid ihr alle? Was tut ihr hier? Oder… Nein… was tu ich hier wo bin ich weshalb weswegen und… wohin? Wann? Wie? Mit wem…
Soll ich gehen? Zu ihm? Tat doch weh, warum schneidet man sich wieder und wieder – Messer, überall Messer, scharf, stumpf und die Kälte. Sie kommt. Ich will nicht, dass Winter ist. Licht, Wärme, Sonne. mama wieso schmecken die roten am besten? (Markus Bauer: "stehende gewässer")
Wieso gibt es soviel wovon man flieht, aber so wenig, wohin man rennt und wieso ist es immer weg, wenn man ankommt? Ankommt. Da, wo man geglaubt hat, hinzulaufen. Verlaufen. Verlaufene Schminke, verlaufene Tränen, verlaufen im Labyrinth der Zeit. Aber ich glaube, es gibt keine Zeit… alles steht still und wartet auf den Moment, in dem der Schöpfer seinen Fuß auf die Erde setzt. Wir leben in diesem Bruchteil eines Augenblicks, in dem der Herzschlag der Welt aussetzt in der Erwartung dessen, was auf der Bühne gleich geschehen wird.
Und die Menschen bilden sich ein, dass Zeit vergeht, weil sie nicht innehalten können, wie das Blut, das weiterfließt, auch wenn das Herz nicht schlagen will für diesen Augenblick.
Doch die Welt ist eine Sanduhr, die unten offen ist.
Wir sind die Sandkörner, die nie aufschlagen, sondern fallen müssen, fallen fallen fallen und glauben, nur weil wir durchgerutscht sind, wären oben weniger Körner, aber das ist nicht so. Denn es gibt kein oben, es gibt keinen Anfang, kein Ende. Der Moment ist so kurz, dass es sinnlos wäre, zu bestimmen, wo Anfang und Ende und wo der Spalt dazwischen liegt.
Wir haschen nach dem Glück, nach Wärme und Geborgenheit, lesen zwischen den Zeilen und glauben an das, was wir glaubten, in Augen zu sehen, in einem Augenblick, in dem der Augen Blick allein auf uns lag.
Die Drachen rufen, die Undinen rufen, die Seelen der Toten rufen, das Rieseln der Zeit machte uns taub für ihre Schreie, Schreie der Schuld und der Reue, Schreie um vergeudete Zeit und verratene Liebe, Schreie um verlorenes Leben und verlorene Unschuld, ein Flehen danach, dass die Zukunft nicht die Folge der Vergangenheit sein möge, während niemand begreift, dass sie die Folge der Gegenwart ist – jetzt, jetzt können wir das morgen bestimmen, jetzt! Morgen ist doch das Heute schon Gestern Sunday’s on the phone to Monday, Monday’s on the phone to me (The Beatles: "She Came In Through the Bathroom Window")
Ich will helfen, will die flehend ausgestreckten Hände ergreifen, doch ich kann nicht, ich kann sie nicht fassen.
Heute Abend hing die Sonne blutrot über dem Horizont und erinnerte mich an einen Abend, an dem der Mond blutrot am Himmel stand, dropping sky. The rain it raineth every day (Shakespeare: "Twelfth Night")
Dieses Leben ist ein Tanz, ein Tanz mit uns selbst. Aber die meiste Zeit können wir uns nicht für das Lied entscheiden, beschließen schließlich trotzig, die Musik selbst zu schreiben.
Wir stehen vor dem Dirigenten, er fragt streng nach unserer Komposition, das Orchester wartet. Alle Staubwolken, alle Sandkörner liegen still und die Schreie verstummen. Der Vorhang hebt sich, das Stück muss gleich beginnen, gleich gleich, wenn dieser Moment der Erwartung seinen Höhepunkt erlebt gleich gleich
aber es fehlt ja die Ouvertüre, sie fehlt, wir haben sie einfach nicht geschrieben, waren so beschäftigt mit dem Fallen, nicht wahr, und jetzt haben wir keine Musik und das Orchester wartet und wie soll denn das gehen? Wenn wir keine Musik haben? Wie?
Diese Nacht ist die Nacht sehr still… sehr still diese Nacht…