It’s a grave. An open grave. It’s mine. (Hitchcock: "Vertigo")
Wenn ich hinunterblicke in die warme braune duftende Erde und die Augen schließe, kehrt Ruhe ein. Ersehnte süße Ruhe, in der Freiheit liegt.
Einmal mehr begreife ich, dass das Streben nach Freiheit für mich nur begrenzt sein kann. Zwar… sicher, zwar sehne ich mich nach Freiheit, schlage um mich, wenn ich mich bedrängt fühle, aber eigentlich gibt es Wesentlicheres für mich als diese Freiheit, diese Ruhe, die mich ins Grab senkt.
Was mein Glück ausmacht, sind die Hände, die mein Grab pflegen.
Es liegt auf einem grünen Hügel, unten ist das blaue Meer. Der Himmel wölbt sich unendlich weit und über die Weiten schallt das Lachen der Kinder, die noch nicht wissen, wie groß die Welt ist.
Melancholie ist so süß, denn in ihr liegt die Akzeptanz der Umstände. Was ist befriedender als sich zufrieden zu geben? Es heißt nicht umsonst „zu-Frieden“.
Das Leben, das vor mir liegt, ist wunderschön, aber es zehrt an meinen Kräften, wenn ich alleine bin. Ich war lange alleine. Sehr lang. Sehr alleine. Meine Erinnerung daran ist stark, doch stärker noch ist die Zeit, in der ich es nicht war und bin.
Die Tage und Nächte zusammen, leichtes Geplauder und ernste Gespräche, vorsichtiges Philosophieren und philosophische Höhenflüge. Gemeinsames Schweigen, Schreien und Schwelgen, Trinken, Tanzen, Lachen und Trauern. Dieselbe Musik, derselbe Ort, dieselbe Zeit, dieselbe Flasche und, wie wir verdutzt feststellten, dieselben Ziele.
Es gibt Menschen, die die Einsamkeit lieben. Möglicherweise, weil sie sich der Melancholie hingegeben haben – ich weiß es nicht. Vielleicht aus Angst vor dem Leben, aus Angst vor den Menschen, vor der Liebe. Aus Angst, zu viel von sich preiszugeben, davor, verletzt zu werden, zu sehr aus sich herauszugehen und den Weg zurück nicht mehr zu finden.
Ich begreife diese Angst sehr gut. Wenn sie übermächtig wird, setze ich mich an den Rand meines Grabes und blicke auf das Meer hinaus bis die Wogen sich beruhigen.
Und doch gebe ich mich preis, verwende beinahe alle meine Kraft auf andere Menschen. In the end, the love you take is equal to the love you make. (The Beatles: "The End") Ich bin stark und glücklich, wenn ich bei anderen bin – wenn es die richtigen anderen sind, jedenfalls.
Ich habe keine Angst davor, nicht mehr zu mir zurück zu finden. I fell in love once, then I learned from that. (Jedi Mind Tricks: "Suicide") Damals hätte ich beinahe nicht zurückgefunden. Also packte ich meine Habe zusammen und begab mich auf die Reise, die ein Menschenleben lang dauern wird. Ich habe mich immer ganz dabei, ich muss nichts wiederfinden können.
Bevor ich weiterziehe, packe ich sehr sorgfältig zusammen, was mir gehört. Ich darf nichts vergessen, denn sonst müsste ich ja wiederkommen. Es ist immer der letzte Tag des Sommers. Ich stehe draußen in der Kälte und keiner öffnet mir die Tür. Zugegeben, es gab in meinem Leben mehr als genug bewegende Momente. An den meisten Menschen zieht das Leben vorüber, während sie damit beschäftigt sind, grandiose Pläne zu schmieden. Überall, all die Jahre habe ich hier und dort Stücke meines Herzens gelassen und jetzt ist kaum noch genug davon übrig, um weiter zu leben. (Vega: "Winter")
Das darf nicht passieren. Deswegen prüfe ich meine Satteltaschen gut, bevor ich weiterziehe.
Wenn ich meine Reise wieder aufnehme, weiß ich, dass sich immer Türen öffnen werden. Manchmal nur einen Spalt, manchmal sperrangelweit. Manchmal werden weit geöffnete Türen wieder zugeschlagen. Manchmal haben die Menschen Angst, dass sie mitgehen müssten oder… wollten, wenn ich gehe.
Jede zugeschlagene Tür schmerzt, denn sie ist Erde für mein Grab.
Aber bevor sie ins Schloss fiel, ließ das goldene Licht aus dem Inneren der Häuser Blumen auf meinem Hügel sprießen und meine Tränen lassen sie wachsen. Auch in den Gärten dieser Häuser stehen solche Blumen und auch wenn ich weiterziehe, hoffe ich immer, dass diese Blumen hinter mir weiterblühen mögen. Manchmal versuchen die Leute, sie auszureißen, oft schaffen sie es bestimmt auch, aber die Wurzeln sind tief, und wer weiß, in welchem Frühling die Knospen sich wieder öffnen.
Die Blumen auf meinem Hügel pflege ich gut.
Wenn ich dort ankomme am Ende meiner Reise, wird es ein paradiesischer Ort sein. Jede einzelne Blüte, jeder einzelne geliebte Mensch wird dort sein auf meinem Grab und zwar so, wie ich ihn am meisten liebte.
Doch bis dahin darf ich nicht zu lange an meinem Grab verweilen, auch wenn die süße Dunkelheit verlockend ist.
Ich muss noch viele Blumen finden und viele pflanzen.
Ich sehe meinen Weg, ich gehe ihn, beuge mich meinem Schicksal.
So bin ich denn ein Rosenkrieger und ich bin es gern.